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Strom – Festival für elektronische Musik

Wenn ich eine Liste meiner wichtigsten Alben der 90er Jahre erstellen müsste, würde sie die Platten von Kruder & Dorfmeister enthalten. Sie gehören fest zu meinem persönlichen Soundtrack dieses Jahrzehnts. Zum Auftritt anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des Duos im April 2019 passte es leider zeitlich nicht. Deshalb sorgte die Nachricht, dass Kruder & Dorfmeister im Rahmen des Strom-Festivals in der Philharmonie auftreten, für große Freude.

Die Räumlichkeiten der Philharmonie waren mir vorher nur in Zusammenhang mit klassischer Musik bekannt, weshalb ich sehr gespannt war, wie Elektronisches dort funktioneren würde. Da sich meine Vorliebe für diese Art der Musik sehr selektiv auf ganz bestimmte Genres beschränkt, sagten mir die restlichen Künstler, nur teilweise etwas. Ich stellte mich also auf drei Vorgruppen für Kruder & Dorfmeister ein. Ein peinlicher Irrtum, wie ich im Nachhinein offen zugebe.

Schon beim Betreten der ausverkauften Philharmonie merkte ich, dass hier gleichzeitig nichts und alles zusammenpasste. Don’t DJ sorgte im Foyer bereits für entspannte Klänge, als ich der Gardeobendame meine Jacke aushändigte. Hinter ihm begleitende Visuals von Marco C. Während die Laune immer besser wurde und der Körper mitzuwippen begann, wurde mir langsam bewusst, dass ich mich geirrt hatte, aber auch, dass es ein Abend voller skurriler Kontraste werden würde.

Als nächster stand Stefan Goldmann, der Kurator des Festivals, im großen Saal auf dem Programm. kaum hatte ich es an der Platzanweiserin in Uniform vorbeigeschafft und den Raum, dessen Architektur mich jedes Mal aufs Neue beeindruckt, betreten und meinen Platz eingenommen hatte, ging es auch schon los. Goldmann lieferte eine beeindruckende Mischung aus getragenen Ambientklängen und visueller Untermalung von Javier Benjamin, die perfekt harmonierte. Ich war beeindruckt.

Anschließend wurde im Foyer die Geschwindigkeit von Voiski merklich erhöht, was dramaturgisch sehr gut passte. Die Tanzfläche füllte sich und man konnte kaum glauben, dass es noch so früh war. Zum Ende hin wurde es sogar acidlastig, was ich als Fan der MC-303 sehr begrüßte. Leider erlebte ich Vieles nur aus der Distanz, weil ich einen nicht unerheblichen Teil des Sets in der Schlange für Getränke anstand. Das hätte man besser lösen können. Aber auch dort war es nicht uninteressant. Kellner in weissen Hemden versuchten, dem Ansturm einer Gruppe von Menschen Herr zu werden, die sich sonst wohl nur selten in die Räume verirrt, in denen sonst die ehrwürdigen Berliner Philharmoniker empfangen.

Dann war es soweit: Kruder & Dorfmeister, wegen denen ich primär an diesem Abend gekommen war, begannen im Saal ihren Auftritt. Nahezu unsichtbar hinter den Laptops, im Hintergrund eine riesige Leinwand. Da stimmte wirklich alles: Die Sounds zusammen mit Animationen, bei denen ich nicht glaube, schon häufig ähnlich Gute gesehen zu haben, bildeten eine kraftvolle Einheit, welche niemanden kalt liess. Dass die beiden Profis sind, merkte man deutlich. Sie beherrschten das Spiel mit dem Spannungsbogen perfekt und routiniert. Meine Befürchtung, die Sitzplätze könnten das Vergnügen trüben, verflüchtigten sich schnell, denn irgendwann standen immer mehr Leute auf, gingen nach vorne und tanzten. Daran wurden sie auch von den Uniformierten nicht gehindert. Kulturwandel für einen Abend? Auch ich stand irgendwann in der Menge begeisterter Menschen und liess mich von der Stimmung treiben. Dass es zwischendurch recht technoid anmutete, tat der Sache keinen Abbruch. Ein unglaubliches Erlebnis in einer einzigartigen Umgebung und mit Abstand der Höhepunkt des Abends.

Danach konnte es keine Steigerung mehr geben, weshalb ich mich dazu entschloss, den Heimweg anzutreten. Man soll gehen, wenn es am Schönsten ist. Insgesamt war es eine liebevoll konzipierte Veranstaltung mit hervorragenden Künstlern, von der ich mir eine Fortsetzung wünschen würde.

Foto: Stephan Rabold

Dieser Artikel erschien am 10.02.2020 bei “The Clubmap”.