Autor: Marcel Peithmann

  • Tempelhof Sounds

    Tempelhof Sounds

    Im Jahr 2001 erschien mit „This It“ das hervorragende Debütalbum von The Strokes, welches gleichzeitig ein Startschuß war. Ich hatte mit der Platte damals beruflich zu tun und empfand sie als erfrischende Mischung aus The Sonics und The Velvet Underground. In der folgenden Zeit purzelte eine ähnliche Band nach der anderen in mein Bewusstsein und es formte sich die Gewissheit, es hier mit einem neuen Trend zu tun zu haben.

    Diese Gruppen klangen alle relativ gleich und ähnelten sich auch optisch. Mir fiel es immer schwer, sie auseinanderzuhalten, nur wenige blieben im Gedächtnis. Einige dafür umso nachhaltiger. Dazu gehörten neben den Strokes auch die Libertines, die ich besonders deshalb mochte, weil sie – im Gegensatz zur Mehrheit dieser Bands – eher von Punk als von Rock beeinflusst waren.

    Unvergessen auch lange, rauschhafte Nächte voller Freude darüber, dass nach Britpop Gitarrenmusik endlich wieder eine größere Öffentlichkeit erreichte. Vor und hinter DJ-Pulten feierte man ausgelassen auch das Nachrücken einer neuen Generation von Enthusiasten. Eine schöne, wenngleich kurze Phase. Als ich las, dass sowohl die Strokes als auch die Libertines auf dem „Tempelhof Sounds“ auftreten, war mir klar, dass ich darüber berichten muss.

    Das dreitägige Festival fand auf dem Gelände des Flughafen Tempelhof statt, war hochkarätig besetzt und bot eine gute Mischung aus neuen und bereits etablierten Acts. Alles war übersichtlich strukturiert, professionell organisiert und die Abwesenheit riesiger Sponsorenlogos fiel positiv auf. Auch dem Trend, dass bei größeren Festivals immer weniger die Musik im Vordergrund steht, sondern durch die Präsenz von Riesenrädern und sonstigen Kirmesdevotionalien eher eine Kulisse für Influencer und ihre Selbstinszenierung in den sozialen Medien geliefert wird, wurde getrotzt. Nichts davon war zu sehen.

    Die Sleaford Mods betraten Freitag Nachmittag die Bühne und taten das, für was man sie kennt und schätzt: Andrew Fearn – sympathischerweise im Minor Threat-Shirt – drückte auf die Tasten seines MacBooks und tanzte ansonsten die meiste Zeit. Damit legte er das Fundament für Jason Williamson, der sich wohltuend in seinen Wutreden verlieren konnte. Ein Duo mit den richtigen Vorbildern, die man auch stark heraushört. Exemplarisch seien Carter USM, The Streets und vor allem Dan Le Sac Vs. Scroobius Pip genannt. Das funktioniert und hat seinen Reiz. Ein angenehmer Auftakt.

    Eine Band, die positiv überraschte, war die 2007 gegründete Band Two Door Cinema Club, die immer ein wenig an mir vorbeiging. Soundmäßig nah an allen anderen Bands dieser Ära, aber deutlich hervorzuheben, was Songwriting und Spielfreude angeht. Mit deren Werk werde ich mich definitiv noch näher beschäftigen.

    Der Auftritt auf den ich mich am meisten gefreut hatte, erfüllte dann nicht nur meine Erwartungen, sondern übertraf sie um ein Vielfaches. Die Libertines starteten mit „What a Waster“, was im Fotograben nicht nur bei mir für erste Tanzschritte sorgte, die sich leider schwer mit scharfen Fotos vereinbaren lassen und deshalb gestoppt werden mussten. Nicht ganz einfach, weil es direkt mit mit „Up the Bracket“ weiterging. Pete Doherty hat das Heroin inzwischen durch gutes Essen ersetzt, was man auch deutlich sieht. Das ist keinesfalls despektierlich gemeint, denn er sieht deutlich gesünder aus, als in den letzten Jahren und singt auch besser. Bekleidet mit Anzug und Hut hatte er, genau wie auch Carl Barât, der Lederjacke und Melone trug, offensichtlich nicht mit dem phantastischen Wetter gerechnet und entledigte sich bereits nach dem ersten Lied seiner Schleife. Das solide Fundament für die beiden Ausflügler lieferten wie immer der lässige John Hassall am Bass und Gary Powell am Schlagzeug, letzterer im knallgelben Trainingsanzug. Eine gute Stunde lang wurde kein Hit ausgelassen und somit genau das geboten, für was das dankbare Publikum gekommen war. Mit den Hymnen „Time for Heroes“ und „Don’t look Back into the Sun“ war dann Schluß. Die Gruppe verabschiedete sich mit Verbeugungen. Insgesamt hat sie sich ihren ihren schrammelig punkigen Sound bewahrt, verspielt sich immer wieder vor Leidenschaft und lacht darüber. Man merkt, dass sie noch mit Leidenschaft und aus Liebe zur Musik dabei ist. Mit Abstand der Höhepunkt des Wochenendes.

    Bereits den ganzen Tag waren mir auf dem Gelände junge Frauen in weißen Gewändern mit Blumenkränzen aus Plastik im Haar aufgefallen. Eine etwas schaurige Mischung aus Hippie und Sektenmitglied. Als dann Florence + The Machine die Bühne betraten wurde mir schlagartig klar, was es mit diesem Aufzug auf sich hatte. Florence Welch betrat die Bühne barfuß in weißem Gewand. Sie wurde mit ohrenbetäubendem Jubel empfangen und zog das das Publikum von Anfang an in ihren Bann. Der gesamte Auftritt hatte etwas von einem Gottesdienst. Welch raste entweder singend über die Bühne, oder predigte, von sakralen Gesten begleitet, zum Publikum. Ein Song wurde mit der Aufforderung eingeleitet, die Mobiltelefone verschwinden zu lassen, um den Moment zu genießen. Im Vorfeld eines weiteren bat sie darum, diese wieder hervorzuholen und die Taschenlampen einzuschalten. Das Publikum folgte begeistert. Sie weiß genau, auf welche Gesten und Äußerungen das Publikum reagiert und setzt diese geschickt ein. Das ist professionell und nicht zu kritisieren, authentisch wirkte es nicht auf mich. Optisch eher an die 60er Jahre erinnernd, fühlte man sich musikalisch stark in die 80er Jahre versetzt, was in Anbetracht der Künstler, die als Vorbilder angegeben werden, keine Überraschung war. Beeindruckt hat das Bühnendesign, welches klar auf Bilder zugeschnitten war. Aber auch das ist kein Kritikpunkt. Während des Auftritts gab es außerdem ein kleines Erdbeben. Die Website erdbebennews.de vermeldete, um 20:58 Uhr hätten seismologische Stationen einen „überdurchschnittlichen Ausschlag mit der Stärke 1,4 auf der Lokalmagnitudenskala“ registriert.

    Zu guter Letzt und als zweiter persönlicher Höhepunkt standen die Strokes aus New York auf dem Programm. Ein gutgelaunter Julian Casablanca führte die perfekt eingespielte Band durch ein Set aus neueren Stücken und Klassikern. Zwischen den Stücken sorgte der Sänger immer wieder für Vergnügen, indem er seine Deutschkünste demonstrierte, mit einem Dinosaurierkostüm in den Dialog trat oder mit einer Maske herumalberte, die ihn als deutlich jüngeren Mann zeigte. Das ganze kippte trotzdem nicht in Klamauk und es war zu merken, dass die Strokes gereift sind. Das Fehlen des Evergreens „Last Nite“ wurde von vielen mit Enttäuschung zur Kenntnis genommen. Das ist allerdings Kritik auf hohem Niveau. Der packende Auftritt zeigte deutlich, dass Musik auch bei dieser Formation immer noch das verbindende Element ist.

    Ein würdiger Abschluß dieses wirklich gelungenen Festivals, welches jeden Tag ungefähr 30.000 Besucher verzeichnen konnte und auf dessen Fortsetzung im nächsten Jahr ich mich jetzt schon freue.

    Dieser Text erschien am 18.06.2022 bei „The Clubmap“.

  • Lola Marsh

    Lola Marsh

    Wegen COVID-19 wurde das Konzert von Lola Marsh in Berlin mehrmals verschoben, nun war es endlich soweit. Sechs Jahre ist es bereits her, dass ich die 2013 gegründete Band aus Tel Aviv bei einem fast intimen Showcase einer Plattenfirma zum ersten Mal sah. Seitdem hat sie eine beachtliche Karriere hingelegt und ist schon lange nicht mehr der Geheimtipp, als den ich sie kennengelernt habe. Gut so.

    Der Abend im ausverkauften Heimathafen Neukölln begann mit dem Support Kayma. Die beiden sympathischen Herren mit Akustikgitarren und mehrstimmigen Gesang lösten Gedanken an die Everly Brothers oder Simon & Garfunkel aus. Später blitzen assoziativ noch die Beatles in ihrer besten Zeit auf. Musikalisch trotzdem eigenständig. Die Vorbilder waren dezent eingearbeitet.

    Lola Marsh wurden mit frenetischem Jubel empfangen. Man merkte, dass die Menschen lange auf diesen Abend gewartet hatten. Die Gruppe wirkte nicht so, als hätte sie bereits 15 Konzerte hinter sich und war vom ersten Moment an in ihrem Element. Dargeboten wurde eine Mischung aus Hits wie „Wishing Girl“ und neueren Stücken, die keinen Deut schwächer waren. Das ist deshalb erwähnenswert, weil bei weitem nicht jede Band einen hohen musikalischen Standard dauerhaft halten kann. Zwischenzeitlich fühlte man sich an das Set eines DJs erinnert, der Lieder ineinander übergehen lässt und damit eine Fläche schafft, die den Zuhörer einwickelt und zum Teil des Ganzen macht. Dieses Gefühl wurde durch perfekten Sound verstärkt, der nicht zum ersten Mal die Notwendigkeit kompetenter Tontechniker bewies.

    Hervorzuheben ist auch, dass bestimmte Formen der Einbeziehung des Publikums, die bei anderen Bands wie abgeschmackte Klischees und somit lächerlich wirken, hier authentisch waren. Wenn Sängerin Yael Shoshana Cohen wiederholt äußerte, wie sehr ihr der Abend gefalle, glaubte man ihr das. Wenn das Publikum zum Mitsingen aufgefordert wurde, war das weder bei ihr noch bei Gil Landau eine peinliche Rockstarpose. Als die Sängerin bei der Schilderung, wie die Gruppe die Coronazeit erlebt hatte, kurz von ihren Gefühlen übermannt wurde und sich abwenden musste, war das nicht aufgesetzt, auch wenn sie diese Geschichte sicher nicht zum ersten Mal vor Publikum erzählte. Es war insgesamt in Vergnügen die Interaktion der beiden zu beobachten. Der Gesamteindruck, dass die Bandmitglieder am vorletzten Abend der Tour noch nicht genug voneinander zu haben schienen, komplettierte das positive Bild.

    Besser hätte mein erster Konzertbesuch nach der langen Coronapause nicht verlaufen können. Endlich geht es wieder los.

    Dieser Artikel erschien am 15.05.2022 bei “The Clubmap”

  • Rankin:“Der unglaubliche Boom beim Zugang zur Fotografie ist vielleicht die größte Entwicklung in diesem Bereich in den letzten Jahren.“

    Rankin:“Der unglaubliche Boom beim Zugang zur Fotografie ist vielleicht die größte Entwicklung in diesem Bereich in den letzten Jahren.“

    Seit dem 23.02.2022 zeigt die Berliner Galerie „Camera Work“ auf ihrer Website eine virtuelle Ausstellung des britischen Fotografen Rankin. Einige der Werke sind weltweit zum ersten Mal zu sehen. Hintergrund der Schau ist die Tatsache, dass beim Fotografen zu Beginn der Pandemie durch die abrupt veränderten Verhältnisse ein ihn inspirierendes Umdenken einsetzte. Er begann, Blumen auf besondere Weise in Szene zu setzen. Er, der sonst von einem großen Team unterstützt wird, führte bei diesem Projekt alle Arbeitsschritte selbst aus. Ergänzt wird die Ausstellung durch ältere Bilder, auf denen die Verbindung von Mensch und Blume eine zentrale Rolle spielt.

    Meine Verbindung zu Rankin besteht bereits seit den 90er Jahren durch das von ihm 1991 mitgegründete „Dazed & Confused“ Magazin, welches heute nur noch „Dazed“ heißt. Natürlich sagte mir sein Name damals nichts, aber das Heft, dessen Konzept neu war, begeisterte mich. Aufgrund der Tatsache, dass er nicht nur Models, wie Kate Moss, sondern auch einige meiner Lieblingsmusiker fotografierte, begegnete er mir im Laufe der Jahre immer wieder. Eine weiterer Link ist die Sendung „Germany’s Next Topmodel“, der ich seit der ersten Staffel treu bin. Als Rankin 2009 dort erstmals mitwirkte, horchte ich bei der Nennung seines Namens auf. Eine kurze Recherche bestätigte die Vermutung, dass es sich um „den“ Rankin handelte. So schloß sich der Kreis.

    Nun ergab sich die Gelegenheit, ihm einige Fragen zu stellen.

    © Rankin / Courtesy of CAMERA WORK Gallery

    Laut eigener Aussagen hat Sie die Zeit der Isolation während des Lockdowns der Natur näher gebracht und die Resultate sind beeindruckend. Warum trafen Sie die Entscheidung, die aktuellen Bilder im Studio aufzunehmen und nicht in der Natur?

    Während des Lockdowns verbrachte ich viel Zeit draußen und auf Spaziergängen mit meinen Hunden. Das gab mir Raum zum Erkunden und half mir, mich mit mir selbst im Reinen zu fühlen. Während dieser Zeit habe ich draußen fotografiert. Für meine beiden wichtigsten Lockdownprojekte „Embrace“ und „An Exploding World“ wollte ich jedoch einen Weg finden, die Natur in meinem eigenen Porträtstil zu betrachten.

    Ich brachte diese unglaublichen Blumen mit und fotografierte sie vor einem schlichten Hintergrund, sodass sie im Mittelpunkt jedes Bildes standen. Die Kontrolle, die eine Studioeinstellung bietet, beispielsweise das Entfernen von Änderungen der Windrichtung, gab mir mehr Spielraum, um die Blumen wirklich im Detail und aus mehreren Winkeln ohne Beeinträchtigungen aufzunehmen. Aber ich habe immer noch natürliches Licht verwendet, das meiner Meinung nach jedem Stück Authentizität und Natürlichkeit verleiht.

    Über Ihr besonderes Verhältnis zur Pusteblume haben Sie einmal gesagt “Seit Jahren bin ich besessen von der Perfektion einer Pusteblume. Löwenzahn gilt als Unkraut und wächst überall, vor allem in der Stadt. Und in einer Zeit, in der ich viel Stress hatte, spendete er mir Trost. Zumal ich als Kind die Idee, die Samen wegzupusten, mit einem Wunsch verband.“ Wie ist Ihre enge Beziehung zu Blumen und Pflanzen entstanden?

    Ich denke, dass Blumen und die Natur ein Thema sind, zu dem jeder Künstler eine Beziehung hat, tatsächlich ist jeder Mensch in gewisser Weise von der Natur beeinflusst. Sei es durch Landschaften, wilde Tiere oder einen Blumenstrauß, den einem ein geliebter Mensch schenkt. Die Natur durchdringt unsere gesamte Umgebung und das hat mich wirklich angezogen. Löwenzahn zum Beispiel erwacht auf dem Land, aber auch in der Stadt zum Leben. Er ist klein und empfindlich, kann sich aber gleichzeitig gegen die härtesten Widerstände durchsetzen. Diese Dualität der Blume inspiriert mich wirklich.

    © Rankin / Courtesy of CAMERA WORK Gallery

    Wie kamen Sie auf die Idee, Menschen auf diese besondere Art mit Blumen in Verbindung zu bringen?

    Blumen kommen in vielen meiner Arbeiten vor, sie sind vielseitig einsetzbar. In der Kunstgeschichte können sie alles bedeuten, von Schönheit und Weiblichkeit bis hin zu Sexualität, Macht, Liebe oder Verfall. Ihre Lebendigkeit kann zu erstaunlicher kreativen Ergebnissen führen und wenn sie welken, kann sich ihre Bedeutung zu einem Blick auf den Übergang vom Leben in den Tod wandeln. Das sind Themen, die ich gerne in meinen Porträts behandle, deshalb sind Blumen und florale Muster in meinen Arbeiten so präsent.

    Sie arbeiten bereits sehr lange auf Ihrem Gebiet. Welche Entwicklungen und Veränderungen würden Sie als positiv und welche als negativ bewerten?

    Der unglaubliche Boom beim Zugang zur Fotografie ist vielleicht die größte Entwicklung in diesem Bereich in den letzten Jahren. Jeder hat jetzt jederzeit eine Kamera in der Tasche! Aber für mich ist es ein zweischneidiges Schwert. Ich liebe diese Demokratisierung, dass jeder Zugriff hat. Das damit einhergehende Filtern und Bearbeiten des eigenen Erscheinungsbilds durch Apps, vermittelt allerdings ungesunde Körperideale in einem Ausmaß, das noch vor fünf Jahren nicht vorstellbar war. Es ist kein Wunder, dass Depressionen bei jungen Menschen zunehmen. Was mich begeistert, ist die Verwendung von 3D-Technologie. Die Möglichkeit, in 3D zu fotografieren und zu drucken, ermöglicht es mir, Porträts und Fotografie auf völlig neue Art und Weise weiterzuentwickeln.

    © Rankin / Courtesy of CAMERA WORK Gallery

    Sie wirken seit 2009 bei der Sendung „Germany’s next Topmodel“ mit. Was finden Sie so reizvoll am Format, dass Sie immer noch dabei sind?

    Ich komme aus dem gleichen Grund immer wieder zu „Germany’s next Topmodel“ zurück, aus dem das Publikum die Sendung gerne sieht. Ich liebe es, die Persönlichkeiten der Menschen zu sehen und neue Talente zu entdecken, aber ich liebe auch Heidi (Klum). Sie war ein sehr wichtiger Teil meiner Karriere, weil wir Freunde sind und es wirklich genießen, zusammenzuarbeiten.

    Was halten Sie vom neuen Diversity-Konzept der Sendung, das zum Beispiel beinhaltet, dass klassische Modelmaße keine Teilnahmevoraussetzung mehr sind?

    Ich bin weder an der Produktion noch am Konzept von „Germany’s next Topmodel“ beteiligt, deshalb möchte ich mich dazu nicht äußern. Wenn Sie meine Karriere verfolgt haben wissen Sie aber auch, dass ich immer ein Verfechter von echten Körpern und realistischen Schönheitsstandards war. Von meinen Editorial-Shootings bis hin zu kommerziellen Arbeiten bin ich wirklich stolz auf die unterschiedlichen Hintergründe und Körpertypen, die ich fotografiert und beworben habe.

    © Rankin / Courtesy of CAMERA WORK Gallery

    Dieser Artikel erschien am 07.03.2020 bei „The Clubmap“

  • Perlentaucher

    Perlentaucher

    Eben wies mich jemand darauf hin, dass ich beim „Perlentaucher“ erwähnt wurde. Das freut mich sehr, denn die Seite gehört seit vielen Jahren zu meinen absoluten Favoriten.

  • Das Ende der Unschuldsvermutung

    Das Ende der Unschuldsvermutung

    Kürzlich sah sich der deutsche Comedian Luke Mockridge mit der öffentlichen Behauptung seitens einer Ex-Partnerin konfrontiert, er habe sich während der Beziehung ihr gegenüber körperlich übergriffig verhalten. Erwartbar wäre als Reaktion die Anregung gewesen, den Vorwürfen nachzugehen, auch wenn der gegenüber dem Sender Sat.1 geäußerte Wunsch, dieser möge mögliche Straftaten aufklären, eine völlige Unkenntnis des Rechtssystems belegt. In den sozialen Medien wurden allerdings Stimmen laut, sein Arbeitgeber solle ihn umgehend entlassen. Mit #KonsequenzenfuerLuke entstand ein eigenes Hashtag, mit dem der Sender massiv unter Druck gesetzt wurde. Das Online-Scherbengericht hatte sein Urteil gefällt.

    Der Sender reagierte mit einer Stellungnahme, in der es hieß, es gebe „aus guten Gründen“ kein Verfahren gegen den Künstler und man hielte es für eine moderne Form der Lynchjustiz, jemanden aufgrund von Gerüchten an den Pranger zu stellen. Das sei nicht mit dem eigenen Rechtsverständnis vereinbar. Diese Worte überraschten in ihrer Deutlichkeit. Im aktuellen Klima reichen oftmals bloße Behauptungen, damit eine Institution einknickt.

    Auch die „Spiegel“-Kolumnistin Margarete Stokowski beschäftigte sich in einem Beitrag unter anderem mit diesem Fall: „Wer erklärt, dass eine Frau, die von Übergriffen spricht, lügt und das Ansehen dieser Person zerstören will, wirft der Frau mindestens üble Nachrede vor – und das wäre dann auch eine Straftat, die diese Frau begehen würde.“ Dieser Satz basiert nicht nur vollständig auf Unterstellungen, sondern diskreditiert auch die Unschuldsvermutung, indem er sie nach eigenem Gusto verdreht.

    Gegen diese Kritik versuchte sich Stokowski mit der Aussage zu immunisieren, die Unschuldsvermutung sei ausschließlich ein „rechtliches Prinzip“. Damit möchte sie wohl behaupten, diese gelte nur vor Gericht. Das ist nachweislich unzutreffend. Aus dem Pressekodex, den man als Journalistin eigentlich kennen sollte, geht hervor, dass der Grundsatz der Unschuldsvermutung auch für die Presse verpflichtend ist. Man kann durchaus die Meinung vertreten, dass sie zusätzlich auch ein moralisches Prinzip sein sollte.

    Ein Abschnitt lädt besonders zu Kommentierung ein: „Dass sexualisierte Gewalt selten nachgewiesen werden kann, ist ein Problem. Aber die Hauptgefahr ist hierbei nicht, dass haufenweise unschuldige Männer im Knast landen. Die Hauptgefahr ist, dass das öffentliche Misstrauen gegen mutmaßliche Opfer und diejenigen, die den Schilderungen glauben, dazu führt, dass Menschen, die Gewalt erfahren haben, es nicht wagen, darüber zu sprechen, weil sie ahnen, welche Macht ihnen dann entgegenschlagen würde.“ In negativer Hinsicht bemerkenswert, wie grotesk hier die Idee der Unschuldsvermutung verzerrt wird.

    Natürlich ist es schwer, Dinge zu beweisen, die sich zwischen zwei Personen in intimer Begegnung ereignet haben. Dass in einem Rechtsstaat Vorwürfe belegt werden müssen, ist aber kein Zeichen dafür, dass Frauen, die einen sexuellen Übergriff anzeigen, nicht geglaubt wird. Natürlich ist es jedem selbst überlassen, in welcher Form er vermeintlich Erlebtes kommuniziert. Wer allerdings (wie hier geschehen), anstatt bei der Polizei Anzeige zu erstatten, in den sozialen Medien öffentlich Anschuldigungen artikuliert, tut der eigenen Glaubwürdigkeit keinen Gefallen.

    Besonders vor dem Hintergrund, dass die Unzumutbarkeit eines Besuchs bei der Polizei oft mit Scham begründet wird. Es ist schwer nachzuvollziehen, dass es schwerer fällt, sich einer Polizeibeamtin zu offenbaren, als vor Millionen fremder Menschen im Internet intime Details zu diskutieren. Dass Stokowski unschuldig Kompromittierte zu Kollateralschäden erklärt, spricht zudem Bände darüber, welche Stufe der Verrohung der Diskurs inzwischen erreicht hat. Dieser Fall zeigt einmal mehr, dass die Unschuldsvermutung es verdient hat, genauer betrachtet zu werden.

    Zunächst: Es gibt mehrere Arten von Schuld. Die finanzielle beziehungsweise eigentumsrechtliche Definition aus der Finanzwelt ist hier allerdings irrelevant. Es geht um „moralische Schuld“. Diese kann durch den Verstoß gegen geltende Regeln, die sich aus Naturrecht, ethischen Postulaten und gesellschaftlichen Absprachen ableiten, auf sich geladen werden.

    Das Problem der moralischen Schuld ist, dass Moral als subjektiver Begriff von jedem Menschen anders verstanden und definiert wird. Dieses Verständnis beziehungsweise diese Definition hängt wiederum von individuellen Überzeugungen und Ansichten ab. Deshalb sind Argumente auf der Basis von Moral grundsätzlich schwierig und immer unscharf. Das ist in diesem Fall ein Dilemma.

    Natürlich muss jede Schuld nachgewiesen werden. Das ergibt sich aus dem übergeordneten Prinzip der Forderung nach Begründung. Das ist nicht nur in der Wissenschaft so, in der jede Schlussfolgerung der Erklärung ihrer Herleitung bedarf. Auch bei der Beilegung eines zwischenmenschlichen Konflikts ist die Belegpflicht für benachteiligende Behauptungen einleuchtend. Diese Nachweispflicht gilt übrigens auch für den liberalen Grundsatz, dass die Freiheit des einen dort endet, wo die Freiheit des anderen beginnt, welcher nur umsetzbar ist, wenn der Anspruch auf Durchsetzung gegenüber anderen Interessen belegt werden kann.

    Sie lässt sich bis ins 13. Jahrhundert auf den französischen Kardinal Jean Lemoine zurückverfolgen. Friedrich Spree griff sie 1631 mit „Im Zweifel für den Angeklagten (in dubio pro reo)“ in der „Cautio Criminalis“ auf. Cesare Beccaria machte sie 1764 schließlich zum Rechtsprinzip. In Deutschland ist sie im Grundgesetz verankert. In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 heißt es: „Jeder Mensch, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, ist so lange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem alle für seine Verteidigung nötigen Voraussetzungen gewährleistet waren, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.“

    In Art. 14 Abs. 2 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte der Vereinten Nationen steht weiter, dass jeder wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte Anspruch darauf hat, „bis zu dem im gesetzlichen Verfahren erbrachten Nachweis seiner Schuld als unschuldig zu gelten“. Auch im Rahmen der Europäischen Union wird in der Grundrechtecharta garantiert: „Jeder Angeklagte gilt bis zum rechtsförmlich erbrachten Beweis seiner Schuld als unschuldig.“

    Wie erwähnt, wird in Diskussionen zu diesem Thema oft fälschlicherweise darauf hingewiesen, dass die Unschuldsvermutung nur im Rahmen eines Strafverfahrens Gültigkeit besitze. Nicht nur der Pressekodex, der im Rahmen der sogenannten „Verdachtsberichterstattung“ leider häufig ignoriert wird, beweist das Gegenteil. Auch Privatpersonen sind an die Unschuldsvermutung gebunden. Hier kommt es besonders auf die Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung an. Auch schon vor dem eingangs erwähnten Fall Mockridge finden sich sowohl national als auch international zahlreiche Beispiele für die Ignoranz gegenüber der Unschuldsvermutung.

    · Dem Moderator Jörg Kachelmann wurde von einer ehemaligen Geliebten unterstellt, er habe sie vergewaltigt. Nicht nur sprach ihn das Landgericht Mannheim 2011 frei. Das Oberlandesgericht Frankfurt verurteilte die Behauptende 2016 zu über 7000 Euro Schadenersatz, weil es als erwiesen ansah, dass sie Kachelmann „vorsätzlich, wahrheitswidrig der Vergewaltigung bezichtigte“.

    · Die Teilnehmerin an Trashfernsehformaten, Gina-Lisa Lohfink, beschuldigte zwei Männer, gegen ihren Willen mit ihr Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Im Verfahren am Amtsgericht Berlin-Tiergarten wurde der Vorwurf der Vergewaltigung und sexuellen Nötigung fallen gelassen. Lohfink erhielt einen Strafbefehl in Höhe von 24.000 Euro wegen falscher Verdächtigung.

    Die Entlasteten erstatteten ihrerseits Anzeige wegen Verleumdung und Beleidigung. Daraufhin verurteilte das Amtsgericht Berlin-Tiergarten Lohfink zu einer Strafe von 20.000 Euro wegen falscher Verdächtigung. Im Revisionsverfahren wurde die Verurteilung rechtskräftig bestätigt. Besonders hervorzuheben ist, dass die damalige Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig sich öffentlich zu dem Fall äußerte und sich ohne Aktenkenntnis mit Lohfink solidarisierte.

    · Dem Sänger Michael Jackson wurde von mehreren Seiten vorgeworfen, sich Kindern und Jugendlichen unsittlich genähert zu haben. Trotz zweier Verfahren (1993 und 2005) konnte ihm keine Schuld nachgewiesen werden. Beschuldiger verwickelten sich dagegen in Widersprüche, und im Nachhinein äußerte eines der vermeintlichen Opfer, von seinen Eltern aus Habgier zu dieser Behauptung gedrängt worden zu sein.

    · Regisseur Woody Allen wird bis heute von seiner Ex-Frau Mia Farrow beschuldigt, eine ihrer Adoptivtöchter sexuell missbraucht zu haben. Mehrere voneinander unabhängige Gutachten kamen zu dem Schluss, dass die vermeintliche Vergewaltigung nicht stattgefunden hat. Anklage wurde nie erhoben. Der Adoptivsohn Moses Farrow wandte sich später an die Öffentlichkeit und stellte klar, dass diese Vorwürfe das Resultat einer von Mia Farrow initiierten Kampagne seien. 2020 versuchten Autoren des Rowohlt Verlags mit einem offenen Brief, die dortige Veröffentlichung der Memoiren Allens zu verhindern. Eine Mitunterzeichnerin des Briefs: Margarete Stokowski.

    Natürlich gibt es unbelegte Anschuldigungen auch in zahlreichen anderen Bereichen. Die unwahre Behauptung der Zahlungsunfähigkeit oder derSteuerhinterziehung seien hier genannt. Der Vorwurf sexuell unangemessenen Verhaltens hat allerdings die weitreichendsten Folgen, weshalb der Fokus darauf liegt. Bereits die Behauptung, jemand habe sich eines solchen Fehlverhaltens schuldig gemacht, ist für die beschuldigte Person verheerend.

    In allen beschriebenen Fällen fand sowohl in der Presse als auch in der Bevölkerung eine Vorverurteilung statt. Die Schuld der Genannten stand trotzdem für viele unhinterfragt fest. Freisprüche gelten in diesem Zusammenhang als Freisprüche zweiter Klasse. Natürlich ist es ein Unterschied, ob jemand aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurde oder ob seine Unschuld bewiesen wurde. Rechtlich gibt es diesen Unterschied allerdings nicht.

    Wer für die Unschuldsvermutung eintritt, dem wird schnell unterstellt, das Opfer der Lüge zu bezichtigen. Dabei wird übersehen, dass erst ein Gericht prüft, ob es überhaupt ein Opfer gibt. Über einen Anfangsverdacht entscheidet die Staatsanwaltschaft, über Schuld oder Unschuld ein Gericht. Die Mehrheit der Anschuldigungen wegen sexueller Übergriffe trifft zu. Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass die Vorwürfe der Wahrheit entsprechen, rechtfertigt allerdings nicht die Zerstörung von Existenzen ohne rechtsstaatliches Verfahren.

    Die entschiedene Ablehnung als Reaktion auf Übergriffigkeiten ist indes ein neueres Phänomen. In der Operette „Paganini“ von Franz Lehár aus dem Jahr 1925 findet sich die Textstelle: „Gern hab ich die Frau’n geküsst, hab nie gefragt, ob es gestattet ist; dachte mir: nimm sie dir, küss sie nur, dazu sind sie ja hier!“ Die Zeiten, in denen so gedacht wurde, sind in der westlichen Welt glücklicherweise vorbei, und wer das anders sieht, dem hilft das Rechtssystem auf die Sprünge.

    Rechtsstaatliche Standards werden von vielen allerdings nur akzeptiert, solange sie nicht mit den eigenen Ansichten kollidieren. Diese Ansichten enthalten häufig die auf einem Irrtum basierende Erzählung, dass Angehörige bestimmter Gruppen pauschal Opfer und Angehörige anderer Gruppen pauschal Täter seien. Dabei ist unerheblich, ob es sich um Geschlechterfragen, Rassismus oder andere Themen handelt: Einem friedlichen Miteinander ist dieses Narrativ nicht zuträglich.

    Die Unschuldsvermutung sollte deshalb nicht nur als zentrales Element des Rechtsstaats, sondern als wichtiger Teil der Verbesserung des Umgangs miteinander auch in allen anderen Lebensbereichen gelten. Es verwundert, dass in einer Zeit, in der sich parteiübergreifend auch in politischen Programmen immer häufiger Forderungen nach „Achtsamkeit“ und „Respekt“ finden, dieses so wichtige Werkzeug zur Erfüllung des Wunsches nach einem konstruktiv-bejahenden Miteinander gering geschätzt wird.

    In einer unübersichtlicher werdenden Welt suchen Menschen nach Orientierung, und die Zuweisung von Schuld hat diese in der Geschichte immer gegeben. Nachrichten, die sich auf Aktivitäten unterhalb der Gürtellinie beziehen, verbreiten sich besonders schnell. Die Beschleunigung der Kommunikation in den sozialen Medien mit massenhafter anonymer Kommentierung und die dortige Aufmerksamkeitsökonomie machen es so immer schwerer, ein Bewusstsein für die Bedeutung der Unschuldsvermutung zu erhalten.

    Dieser Artikel erschien am 06.05.2021 in der „Welt“.

  • Schon von „BPoC“ gehört?

    Schon von „BPoC“ gehört?

    In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass Entwicklungen und Debatten, die in den sozialen Medien entstehen, ihren Weg in die Gesellschaft finden. Es wurde ebenso offenbar, dass bisher vor allem Populisten, Radikale und Extremisten diese Plattform für sich zu nutzen verstehen. Ihr Erfolg ist auch dadurch zu erklären, dass moderate Diskutanten vom destruktiven Diskussionsstil abgestoßen sind und sich zurückziehen. So bleibt vieles nicht nur unwidersprochen, sondern auch unbemerkt. In letzter Zeit liest man häufiger, nun sei es langsam genug mit der Berichterstattung über Identitätspolitik. Dabei wird verkannt, dass diese Debatte gerade erst beginnt.

    In den letzten Jahren konnte sich in Teilen der öffentlich-rechtlichen Medien, der Universitäten und der Nichtregierungsorganisationen eine intellektuelle Subkultur etablieren, die die Errungenschaften der Aufklärung und auch gesellschaftliche Übereinkünfte durch Gruppendenken zu ersetzen versucht. Das Grundgesetz sowie staatsbürgerliche Rechte und Pflichten, die für jeden gelten, werden immer häufiger infrage gestellt. Forderungen nach einer besonderen Behandlung auf Basis der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe werden mit wachsender Aggressivität gestellt.

    Weitgehend ohne Wissen der Öffentlichkeit wurden intransparente Strukturen geschaffen, die nicht selten staatlich finanziert sind und die dort erdachten Konzepte in die Gesellschaft tragen. Das ist keine Verschwörungstheorie. Es seien hier nur genannt die Sprachregelung zum Gendern und die Verbreitung fragwürdiger Narrative in durch den Rundfunkbeitrag finanzierten Redaktionen oder das System der Steuerung von Forschungsgeldern.

    Inzwischen wird vermehrt kritisch nachgefragt, was da eigentlich mit welcher Rechtfertigung steuer- und abgabenfinanziert in den Köpfen der Menschen verankert werden soll. Deshalb liegt es in der Natur der Sache, dass der Versuch der Delegitimierung von Kritik hauptsächlich von denen unternommen wird, die von diesen Strukturen profitieren und langsam ihre Felle davonschwimmen sehen. Es geht um Deutungshoheit und daraus resultierend um Macht und Geld.

    Ein Werkzeug, dessen sich die Akteure dieses Milieus bedienen, ist die Akademisierung von Sprache. Durch das Einführen neuer Begriffe und Bezeichnungen, die nicht selten auf wackeligen Theorien beruhen, werden nicht nur weniger Begünstigte und nicht universitär Gebildete vom Diskurs ferngehalten. Das passt so gar nicht zum Anspruch der Inklusion und dem oft erhobenen Vorwurf des „Klassismus“, also einer Benachteiligung aufgrund der sozialen Herkunft.

    So manch hochintelligenter Akademiker kann da nicht mehr folgen. Die Tatsache, dass aufgrund der Entstehung des Themas in den USA auch hierzulande überwiegend englische Wörter verwendet werden, steigert die Verwirrung. Als Beispiel eignet sich die Bezeichnung für Personen mit dunkler Hautfarbe. Die Ablehnung von Rassismus ist unter Demokraten zwar Konsens, bezüglich der Wortwahl gibt es allerdings Dissens.

    Beim Begriff „Neger“, welcher durch seine Wortgeschichte als rassistisch empfunden wird, gebieten Respekt und Höflichkeit, es nicht zu verwenden. Das später eingeführte Wort „Schwarze“ ist nicht perfekt, erfüllt aber seinen Zweck. Vor einigen Jahren kam der Begriff „PoC“ auf. Er steht für „Person of Color“. Bereits kurze Zeit später wurde er modifiziert. Als „PoC“ gelten nun nicht mehr Schwarze, sondern alle nicht hellhäutigen Menschen. Die Bezeichnung für Schwarze ist seitdem „BPoC“, also „Black Person of Color“. Sind Sie noch dabei?

    Die Abwesenheit deutscher Formulierungen kritisieren inzwischen auch Befürworter der Verwendung dieser Wortsträuße. Ein für mehrere öffentlich-rechtliche Formate tätiger Journalist schlug Anfang März auf Twitter als Alternative „SOJARME-Person“ vor. Das stünde für „schwarze, osteuropäische, jüdische, asiatische, Roma-Sinti-, und/oder muslimische Person“. Man müsse mit diesem Begriff „nicht gleich of Color“ sein oder „nicht-weiß“ oder nicht-hellhäutig, um mit angesprochen zu werden. „Europäischstämmige Menschen, die abgewertet werden, würden ebenfalls mitgenommen.“

    Endlich ein Wort, das alle einschließt, möchte man meinen, auch wenn das Ganze eventuell erst nach dem ausgiebigen Genuss geistiger Getränke Sinn ergibt. Nein, das reichte nicht. Kritisiert wurde, dass dieser Begriff „indigene Menschen aus Ozeanien oder Amerika und anderen Regionen“ ausschließe und es deshalb „SOJARIME-Person“ heißen müsse.

    Für Monty-Python-Liebhaber sind solche nicht mehr von Satire zu unterscheidenden Vorschläge und die entsprechenden Reaktionen darauf natürlich ein großes Vergnügen. Sie zeigen leider ebenfalls, wie weit diese Herangehensweise von einem humanistischen Ansatz entfernt ist, weil hier die Vollständigkeit der Aufzählung auch zu einem Kriterium für Wertigkeit gemacht wird.

    Die elitäre Sprache verschleiert zudem, dass die Argumentation oft weder konsistent ist, noch auf Fakten basiert. Die Abwesenheit eines tiefer gehenden Verständnisses für politische und gesellschaftliche Zusammenhänge lässt sich so ebenfalls verbergen. Eine nützliche Schutzmauer gegen Kritik. Wer die Mehrheit der Bevölkerung erreichen möchte, sollte sich so ausdrücken, dass die Mehrheit ihn versteht. Wer ein Thema intellektuell durchdrungen hat, ist in der Lage, es allgemein verständlich zu erklären.

    Eine immer speziellere Ausdrucksweise und das Bündeln von Menschengruppen sind keine Innovationen in der Rassismus-Debatte, sondern ein Rückschritt, der zusätzliche Verklemmungen im Umgang mit Minderheiten schafft. So kann sogar ein potenziell interessantes Gespräch mit dem Taxifahrer zum Minenfeld werden. Wer befürchten muss, dass ihn bereits die Frage nach der Herkunft oder eine falsche Ausdrucksweise zum Unmenschen macht, schweigt lieber. Das ist für die Erreichung des Ziels eines friedlichen Miteinanders unterschiedlicher Kulturen in einer freien Gesellschaft kontraproduktiv.

    ie Behauptung der Aktivisten, dass es ihnen um ein Miteinander ginge, muss in Anbetracht eines unversöhnlichen Diskussionsgebarens und dem Unwillen, andere Argumente wohlwollend zu interpretieren, ohnehin in Zweifel gezogen werden. Wer wirtschaftlich davon abhängig ist, bestimmte Positionen zu vertreten, wird diese außerdem nicht öffentlich relativieren.

    Der Selbsterhaltungstrieb verleitet, unabhängig von den tatsächlichen Gegebenheiten, zu einer fortdauernden Behauptung unverändert drängender Probleme. Das Eingestehen eines Fortschritts ist in diesem System genauso von vornherein ausgeschlossen wie das Vermelden einer Zielerreichung.

    Dieser Artikel erschien am 30.03.2021 in der „Welt“.