Essay

Schon von „BPoC“ gehört?

In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass Entwicklungen und Debatten, die in den sozialen Medien entstehen, ihren Weg in die Gesellschaft finden. Es wurde ebenso offenbar, dass bisher vor allem Populisten, Radikale und Extremisten diese Plattform für sich zu nutzen verstehen. Ihr Erfolg ist auch dadurch zu erklären, dass moderate Diskutanten vom destruktiven Diskussionsstil abgestoßen sind und sich zurückziehen. So bleibt vieles nicht nur unwidersprochen, sondern auch unbemerkt. In letzter Zeit liest man häufiger, nun sei es langsam genug mit der Berichterstattung über Identitätspolitik. Dabei wird verkannt, dass diese Debatte gerade erst beginnt.

In den letzten Jahren konnte sich in Teilen der öffentlich-rechtlichen Medien, der Universitäten und der Nichtregierungsorganisationen eine intellektuelle Subkultur etablieren, die die Errungenschaften der Aufklärung und auch gesellschaftliche Übereinkünfte durch Gruppendenken zu ersetzen versucht. Das Grundgesetz sowie staatsbürgerliche Rechte und Pflichten, die für jeden gelten, werden immer häufiger infrage gestellt. Forderungen nach einer besonderen Behandlung auf Basis der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe werden mit wachsender Aggressivität gestellt.

Weitgehend ohne Wissen der Öffentlichkeit wurden intransparente Strukturen geschaffen, die nicht selten staatlich finanziert sind und die dort erdachten Konzepte in die Gesellschaft tragen. Das ist keine Verschwörungstheorie. Es seien hier nur genannt die Sprachregelung zum Gendern und die Verbreitung fragwürdiger Narrative in durch den Rundfunkbeitrag finanzierten Redaktionen oder das System der Steuerung von Forschungsgeldern.

Inzwischen wird vermehrt kritisch nachgefragt, was da eigentlich mit welcher Rechtfertigung steuer- und abgabenfinanziert in den Köpfen der Menschen verankert werden soll. Deshalb liegt es in der Natur der Sache, dass der Versuch der Delegitimierung von Kritik hauptsächlich von denen unternommen wird, die von diesen Strukturen profitieren und langsam ihre Felle davonschwimmen sehen. Es geht um Deutungshoheit und daraus resultierend um Macht und Geld.

Ein Werkzeug, dessen sich die Akteure dieses Milieus bedienen, ist die Akademisierung von Sprache. Durch das Einführen neuer Begriffe und Bezeichnungen, die nicht selten auf wackeligen Theorien beruhen, werden nicht nur weniger Begünstigte und nicht universitär Gebildete vom Diskurs ferngehalten. Das passt so gar nicht zum Anspruch der Inklusion und dem oft erhobenen Vorwurf des „Klassismus“, also einer Benachteiligung aufgrund der sozialen Herkunft.

So manch hochintelligenter Akademiker kann da nicht mehr folgen. Die Tatsache, dass aufgrund der Entstehung des Themas in den USA auch hierzulande überwiegend englische Wörter verwendet werden, steigert die Verwirrung. Als Beispiel eignet sich die Bezeichnung für Personen mit dunkler Hautfarbe. Die Ablehnung von Rassismus ist unter Demokraten zwar Konsens, bezüglich der Wortwahl gibt es allerdings Dissens.

Beim Begriff „Neger“, welcher durch seine Wortgeschichte als rassistisch empfunden wird, gebieten Respekt und Höflichkeit, es nicht zu verwenden. Das später eingeführte Wort „Schwarze“ ist nicht perfekt, erfüllt aber seinen Zweck. Vor einigen Jahren kam der Begriff „PoC“ auf. Er steht für „Person of Color“. Bereits kurze Zeit später wurde er modifiziert. Als „PoC“ gelten nun nicht mehr Schwarze, sondern alle nicht hellhäutigen Menschen. Die Bezeichnung für Schwarze ist seitdem „BPoC“, also „Black Person of Color“. Sind Sie noch dabei?

Die Abwesenheit deutscher Formulierungen kritisieren inzwischen auch Befürworter der Verwendung dieser Wortsträuße. Ein für mehrere öffentlich-rechtliche Formate tätiger Journalist schlug Anfang März auf Twitter als Alternative „SOJARME-Person“ vor. Das stünde für „schwarze, osteuropäische, jüdische, asiatische, Roma-Sinti-, und/oder muslimische Person“. Man müsse mit diesem Begriff „nicht gleich of Color“ sein oder „nicht-weiß“ oder nicht-hellhäutig, um mit angesprochen zu werden. „Europäischstämmige Menschen, die abgewertet werden, würden ebenfalls mitgenommen.“

Endlich ein Wort, das alle einschließt, möchte man meinen, auch wenn das Ganze eventuell erst nach dem ausgiebigen Genuss geistiger Getränke Sinn ergibt. Nein, das reichte nicht. Kritisiert wurde, dass dieser Begriff „indigene Menschen aus Ozeanien oder Amerika und anderen Regionen“ ausschließe und es deshalb „SOJARIME-Person“ heißen müsse.

Für Monty-Python-Liebhaber sind solche nicht mehr von Satire zu unterscheidenden Vorschläge und die entsprechenden Reaktionen darauf natürlich ein großes Vergnügen. Sie zeigen leider ebenfalls, wie weit diese Herangehensweise von einem humanistischen Ansatz entfernt ist, weil hier die Vollständigkeit der Aufzählung auch zu einem Kriterium für Wertigkeit gemacht wird.

Die elitäre Sprache verschleiert zudem, dass die Argumentation oft weder konsistent ist, noch auf Fakten basiert. Die Abwesenheit eines tiefer gehenden Verständnisses für politische und gesellschaftliche Zusammenhänge lässt sich so ebenfalls verbergen. Eine nützliche Schutzmauer gegen Kritik. Wer die Mehrheit der Bevölkerung erreichen möchte, sollte sich so ausdrücken, dass die Mehrheit ihn versteht. Wer ein Thema intellektuell durchdrungen hat, ist in der Lage, es allgemein verständlich zu erklären.

Eine immer speziellere Ausdrucksweise und das Bündeln von Menschengruppen sind keine Innovationen in der Rassismus-Debatte, sondern ein Rückschritt, der zusätzliche Verklemmungen im Umgang mit Minderheiten schafft. So kann sogar ein potenziell interessantes Gespräch mit dem Taxifahrer zum Minenfeld werden. Wer befürchten muss, dass ihn bereits die Frage nach der Herkunft oder eine falsche Ausdrucksweise zum Unmenschen macht, schweigt lieber. Das ist für die Erreichung des Ziels eines friedlichen Miteinanders unterschiedlicher Kulturen in einer freien Gesellschaft kontraproduktiv.

ie Behauptung der Aktivisten, dass es ihnen um ein Miteinander ginge, muss in Anbetracht eines unversöhnlichen Diskussionsgebarens und dem Unwillen, andere Argumente wohlwollend zu interpretieren, ohnehin in Zweifel gezogen werden. Wer wirtschaftlich davon abhängig ist, bestimmte Positionen zu vertreten, wird diese außerdem nicht öffentlich relativieren.

Der Selbsterhaltungstrieb verleitet, unabhängig von den tatsächlichen Gegebenheiten, zu einer fortdauernden Behauptung unverändert drängender Probleme. Das Eingestehen eines Fortschritts ist in diesem System genauso von vornherein ausgeschlossen wie das Vermelden einer Zielerreichung.

Dieser Artikel erschien am 30.03.2021 in der „Welt“.